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Warum spukt es hier?

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Die Ente

Ganz früh am Morgen wurde die kleine, grüne Hexe von den Sonnenstrahlen, die durch das Fenster schienen, aus ihrem Schlaf geweckt. Noch ziemlich müde streckte sie sich und rief »Guten Morgen!« in den Raum. Ein müdes, aber fröhliches »Quak« ertönte als Antwort und Rana stellte zufrieden fest, dass Quak der Frosch ihr vom Bettende müde entgegenblickte. Die Hexe hüpfte aus dem Bett und versuchte vor dem Spiegel ihre grünen Locken zu bändigen – leider mit wenig Erfolg – dann schlüpfte sie in ihr Hexenkleid und betrachtete zufrieden ihr Spiegelbild.
»Na los Quak, worauf wartest du? Willst du dich nicht auch für den Tag fertig machen?«, fragte sie den Frosch, der das Bett noch nicht verlassen hatte und gemütlich vor sich hin schlummerte. Höchst widerwillig und mit einem abfälligen »Quak« hüpfte er an Ranas Seite und schüttelte sich kräftig. »Wir müssen unsere Pflicht erfüllen. Zuerst machen wir unseren Rundgang um den See und dann kannst du meinetwegen den Rest des Tages verschlafen.«, belehrte Rana den Frosch mit erhobenem Zeigefinger und öffnete die Türe. Es war angenehm warm und der Wind wehte ihr eine warme Brise um die Nase. Quak folgte ihr nach draußen und hüpfte Richtung See. Am Ufer machte er halt und quakte zweimal laut. Rana eilte ihm sofort hinterher und fand neben Quak eine verletzte Ente im Schilf. »Oh nein, du armes Entlein, was ist denn bloß mit dir passiert?«, die kleine Hexe versuchte die Ente vorsichtig zu untersuchen und erkannte bald, dass ihr Flügel gebrochen war. Die Federn standen Kreuz und Quer ab und der Flügel wirkte merkwürdig verdreht. »Wir müssen ihr helfen Quak!«, sagte sie und blickte sich hilfesuchend nach ihrem Frosch um, doch der schien ziemlich ratlos zu sein. »Quak«, schallte es ihr fragend entgegen. »Ich weiß keinen Spruch und keinen Trank der hierbei helfen würde.«, überlegte die kleine Hexe laut vor sich hin. Plötzlich schien ihr ein Licht aufzugehen. »Ruma hat sicher ein Rezept! Sie hat für alles ein Buch, das weiß ich genau!«, freute sich die kleine Hexe, doch dann wurde sie wieder nachdenklich. „Wie kann ich Ruma nur schnell erreichen? Ihr Turm ist ziemlich weit weg und ich fürchte ich kann die verletzte Ente nicht mitnehmen.«, grübelte sie. »Quak«, schallte ein lautes Quaken über den See. Rana drehte sich zu Quak um und sah, dass er so groß geworden war, dass sie zu ihm aufblicken musste. »Achja, das hatte ich völlig vergessen. Du kannst ja jetzt deine Größe ändern. Ich schreibe rasch einen Brief an meine große Schwester und du kannst ihn ganz schnell zu ihr bringen«, strahlte Rana. Sie eilte in ihre Hütte und kam nach kurzer Zeit mit einem Zettel in der Hand wieder zurück. Sie rollte die Nachricht zusammen und band sie mit einem Stück Schnur an eines von Quaks Beinen. Mit stolz geschwellter Brust und gerecktem Kinn ließ der Frosch noch ein letztes »Quak« hören und machte sich dann mit riesigen Sprüngen auf den Weg. »Pass gut auf dich auf, du Held«, rief ihm Rana hinterher und bemühte sich dann die verletzte Ente möglichst schmerzfrei in ihre Hütte zu transportieren. Nachdem sie ihren Schützling ausreichend mit Wasser versorgt hatte, beschloss sie ihren Rundgang fortzusetzen. »Wenn ich fertig bin ist Quak hoffentlich zurück und wir können der Ente helfen«, dachte sie während sie um den See spazierte. Die Sonne stand schon hoch am Himmel als die kleine Hexe den See umrundet hatte und sich entschied noch ein paar Blumen und Kräuter zu pflücken um ihre Vorräte aufzubessern. Nach einiger Zeit hatte sie so viel gesammelt, dass sie ihr Kleid wie eine Schürze vor sich hertrug und ihre Ausbeute mit Hilfe des Stoffes tragen musste. Gerade als sie in der Küche in den verschiedenen Kästchen stöberte und ihre Gläschen und Schüsselchen neu auffüllte hörte sie ein fernes »Quak«. Die kleine Hexe lief sofort zum Fenster und konnte in der Ferne einen kleinen grünen Fleck erkennen. »Quak ist zurück!«, freute sie sich und verstaute rasch den Rest der gesammelten Zutaten. Sie öffnete die Türe und wartete auf die Ankunft ihres tierischen Boten. »Gleich geht es dir besser«, beruhigte sie sie Ente, die gequält mit ihrem Gefieder raschelte und ihr leidend entgegenblickte. Quak hüpfte durch die Tür und nahm augenblicklich wieder seine normale Größe an. Die kleine Hexe entknotete die Schnur an seinem Bein und rollte die Nachricht aus, die Ruma ihr geschickt hatte. »Liebe Rana«, las sie laut vor, »ich hätte nicht gedacht so bald von dir zu hören, aber ich freue mich, dass du dich mit deinem Problem an mich wendest. Tatsächlich kenne ich ein recht einfaches Rezept, dass dir helfen kann die Ente zu heilen. Kurz bevor wir uns das letzte Mal sahen, hatte Elsa, meine treue Schneeeule, sich den Flügel in einem furchtbaren Sturm gebrochen. In einer Ausgabe von ›3-Zutaten-Zaubertränke‹ habe ich dann ein Rezept mit dem Namen ›Einfaches Eulen Elixier gefunden‹ – nur drei Tropfen davon haben Elsas Flügel sofort geheilt. Ich habe dir das Rezept mitgeschickt und ein paar Notizen hinzugefügt, die dir helfen, das Elixier herzustellen. Viel Glück und ich hoffe du kannst der armen Ente helfen! Pass gut auf dich auf. In Liebe, Ruma« Die kleine Hexe nahm die zweite Seite des Briefes zur Hand und erkannte sofort, dass sie das Rezept bei Ruma, der weißen Hexe, schon gesehen hatte. Das Buch lag damals aufgeschlagen auf dem Buchständer. Sie studierte das Rezept, das wie aufgrund des Titels des Buches nicht anders zu erwarten war, nur drei Zutaten benötigte: Schwertlinien, Dotterblumen und Eulenfedern. Rana wollte bereits enttäuscht das Rezept bei Seite legen, da sie keine der angegeben Zutaten hatte, doch dann entdeckte sie Rumas Notizen am Rand des Rezepts. »Statt Schwertlilien musst du Sumpfschwertlilien verwenden, die sollten in Ufernähe am See wachsen. Ihre Blütenblätter (meist drei äußere und drei innere) wölben sich nach unten und strahlen in einem hellen gelb. Statt Dotterblumen kannst du Sumpfdotterblumen nehmen – die kennst du ja. Im Rezept stehen Eulenfedern, da es ja ein Eulenelixier ist. Ich würde dir empfehlen hier Entenfedern zu nehmen, da du ja eine Ente heilen willst. So sollte aus dem ›Einfachen-Eulen-Elixier‹ ein ›Einfaches-Enten-Elixier werden‹. Vergiss nicht die Beschwörungsformel abzuwandeln, dann sollte alles gut gehen. Viel Glück!« Rana begann sofort ihre Vorräte zu durchsuchen und wurde schon nach kurzer Zeit fündig. Sie war froh, dass sie auf ihrem Rundgang noch Blumen gepflückt hatte, denn zu ihrem Glück waren einige Sumpfschwertlilien dabei. Nachdem sie ein Feuer gemacht hatte und in einem Kessel Wasser zum Kochen gebracht hatte, las die kleine, grüne Hexe nochmals im Rezept nach, was sie zu tun hatte. »Man nehme acht Blütenblätter von Schwertlilien und füge sie dem kochenden Wasser hinzu« las sie vor während sie mit gerunzelter Stirn acht Blütenblätter von den Stilen zupfte und sie in den Kessel warf. Dann griff sie zu ihrem großen Lieblingskochlöffel, doch ihre Hand fasste ins Leere. »Quak, hast du meinen Kochlöffel gesehen?», fragte sie den Frosch, der auf einem Hocker neben dem Kessel saß. »Quak», machte der Frosch und sah sich in der Hütte um. Rana tat es ihm gleich und begann überall nach dem Kochlöffel zu suchen. Sie suchte in den Laden in der Küche, dann wühlte sie lautstark in ihrem großen Haufen von Kesseln und Töpfen, doch auch dort war er nicht zu finden. Nachdem sie im und unter dem Bett gesucht hatte und sogar ins Feuer gestarrt hatte um zu erkennen, ob sie ihn vielleicht unabsichtlich als Brennholz verwendet hatte, gab sie auf und nahm einen großen silbernen Schöpflöffel um den Trank umzurühren. »Tut mir leid Quak, aber der rührt nicht von selbst.«, wandte sich die Hexe an den Frosch der enttäuscht in den Kessel blickte und Rana dann schmollend den Rücken zudrehte. Währenddessen kümmerte sich die grüne Hexe um den Trank. »Fügen Sie danach vier ganze Butterblumen hinzu und rühren Sie kräftig um.«, las sie weiter vor, während sie die Blumen ins Wasser warf und nochmals kräftig in dem Gebräu rührte. »Zuletzt fügen Sie fünf Eulenfedern hinzu und sprechen Sie die folgende Beschwörungsformel. Achja die muss ja auch noch abwandeln.«, sagte Rana zu Quak, der sich mittlerweile wieder umgedreht hatte und neugierig die Bläschen beobachtete, die über dem Kessel aufstiegen. Die kleine Hexe eilte zu der verletzten Ente und sammelte fünf Federn auf, die auf dem Boden lagen, um sie in den Kessel zu werfen. Dann studierte sie angestrengt die Beschwörungsformel und rührte noch ein letztes Mal in dem Trank. Dann sprach sie mit zusammengekniffenen Augen in Richtung des Kessels:

 

»Ein gebrochener Flügel kann nicht fliegen,
darum muss die arme Ente liegen.
Heile Flügel und trag sie davon,
ihr Freund der Wind erwartet sie schon.«

 

Die Flüssigkeit brodelte und wurde dann ebenso gelb wie die Blumen, die Rana als Zutaten benutzt hatte. Sie füllte etwas von dem Elixier in ein kleines Fläschchen und kniete sich dann zu der Ente auf den Boden. »Ich denke, dass es nicht wehtut. Und es sollte schnell gehen. Ich bin mir auch nicht sicher ob es funktioniert. Aber ich werde alles versuchen um dich zu heilen«, redete Rana mit einer beruhigenden Stimme auf die Ente ein, die sie misstrauisch anblickte. Dann träufelte sie drei Tropfen des Elixiers auf den gebrochenen Flügel und wartete gespannt auf die Heilung. Doch nichts passierte. Die Ente ließ einen anklagenden Schrei hören und Rana überlegte, was sie wohl falsch gemacht haben könnte. Nach reichlicher Überlegung und einigen bösen Blicken der Ente, nutze die kleine Hexe den Moment, als die Ente erneut mit einem Schrei ihr Leid klagen wollte und träufelte ihr ein paar Tropfen in den Schnabel. Die Ente blickte verdutzt und gerade als sie noch empörter erneut zu einem Schrei ansetzte, glätteten sich die Federn, die eben noch in alle möglichen Richtungen abstanden. Mindestens genauso erstaunt wie die Ente beobachteten Rana und Quak wie die Ente ihren Flügel ausstreckte und keine Spur von einer Verletzung zu erkennen war. Sie flatterte freudig auf und ab und Rana musste lachen, als Quak sich erschrak und aus Angst vor der Ente unter dem Esstisch versteckte. »Du bist geheilt, also flieg in die Freiheit, kleines Entlein«, kicherte Rana. Die Ente raschelte mit ihren Federn und flog dann durch die Tür, die die Hexe aufhielt, ins Freie. Nachdem sie die Tür wieder verschlossen hatte, aß Rana ein paar Beeren, die sie auf ihrem Rundgang gefunden hatte und schlüpfte dann in ihr langes, weißes Nachthemd. »Ich bin erschöpft. Was hältst du davon, wenn wir jetzt schlafen gehen?«, gähnte Rana. »Quaaaaak«, gähnte der Frosch und hüpfte auf das Bett. Die kleine Hexe kuschelte sich in ihr warmes, weiches Bett und sah noch kurz den Mond durch das Fenster glitzern, bevor sie in einen tiefen Schlaf sank.

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"Warum spukt es hier?" ist das 2. Kinderbuch der Reihe "Die Abenteuer der kleinen, grünen Hexe".

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